Berliner Mauer
Beginnen möchte ich mit Bildern von der Bernauer Straße. Zuvor jedoch noch ein Bericht, der die Dramatik in der Zeit des Mauerbaus an dieser Straße ergreifend wiedergibt:
Im Jahr 1961 ist Olga Segler 80 Jahre alt und lebt in der Bernauer Straße Nr. 34, nahe der Brunnenstraße, im Ost-Berliner Bezirk Mitte. Wie bei allen Häusern auf dieser Straßenseite bildet die Baufluchtlinie die Grenze zum Westteil der Stadt. So gerät die alte Frau durch die Sperrmaßnahmen in eine außerordentlich prekäre Lage. Zum einen wird sie von ihrer Tochter getrennt, die nicht weit entfernt auf der West-Berliner Seite der Sektorengrenze wohnt. Zum anderen muss sie erleben, wie die DDR-Behörden immer rücksichtsloser in den Alltag der Anwohner eingreifen. Nahezu sechs Wochen harrt Olga Segler in einem verbarrikadierten Wohnhaus aus, in dem zur Verhinderung von Fluchtaktionen Wachposten in Fluren und Treppenhäusern postiert sind und die Bewegungen im Gebäude und das Verhalten der Bewohner rund um die Uhr kontrollieren.
Denn die Grenzhäuser an der Bernauer Straße gelten den DDR-Behörden als ein „besonderer Schwerpunkt der Grenzdurchbrüche“, wie es im offiziellen Sprachgebrauch heißt. Einem Ost-Berliner Lagebericht zufolge gehören im September 1961 „Absprünge aus Wohnhäusern, deren Baufluchtlinie die Staatsgrenze darstellen, in bereitgehaltene Sprungtücher der Westberliner Feuerwehr bzw. Abseilen aus diesen Häusern“ zu den häufigsten Fluchtmethoden. Im West-Berliner Nachbarbezirk Wedding treffen in den ersten drei Monaten nach dem Mauerbau mehr als 150 Menschen ein, die auf diese Weise geflüchtet sind. Viele von ihnen verletzen sich bei der gefährlichen Flucht und müssen ärztlich behandelt werden Der erste Todesfall ereignet sich am 22. August, als die 58-jährige Ida Siekmann beim Sprung aus ihrer Wohnung tödlich verunglückt.
Im September spitzt sich die Lage in der Bernauer Straße weiter zu. Am Morgen des 24. September beginnt eine groß angelegte Räumungsaktion. Zumeist gegen ihren Willen sollen 2.000 Menschen ihre Wohnungen verlassen. West-Berliner Polizei und Feuerwehr stellen sich darauf ein, dass viele Anwohner versuchen würden, „noch im letzten Augenblick bevor ihre Wohnungen geräumt wurden, in die Freiheit zu fliehen.“ Tatsächlich kommt es im Zuge der Häuserräumung zu dramatischen Szenen, so etwa als eine 77-jährige Frau minutenlang vor einer Hauswand hängt, weil von oben ein Räumkommando versucht, sie in ihre Wohnung zurückzuzerren, während von unten West-Berliner Passanten an ihr ziehen, bis sie schließlich im Sprungtuch der Feuerwehr landet. Am Abend des 25. September entschließt sich auch Olga Segler, aus dem Fenster ihrer im zweiten Stock gelegenen Wohnung zu springen. Unten auf dem Gehweg wartet ihre Tochter und ermutigt sie, während Feuerwehrleute ein Sprungtuch ausbreiten und die 80-Jährige auffangen. Beim Aufprall zieht sie sich jedoch eine Rückenverletzung zu und muss mit einem Krankenwagen in das nahe gelegene Lazarus-Krankenhaus gebracht werden. Dort stirbt Olga Segler einen Tag später. Sie erliegt einem Herzleiden, das durch die bei der Flucht erlittene Aufregung zum Tod führt.
Die DDR-Behörden registrieren Olga Seglers Fluchtversuch als „Grenzdurchbruch“, was sich in der amtlichen Berichterstattung in der Formulierung niederschlägt, ihr sei die „Republikflucht“ gelungen. Das hat zur Folge, dass in Ost-Berlin ein Ermittlungsverfahren gegen die tödlich verunglückte Greisin eingeleitet wird.
Auf der anderen Seite der Mauer wird unterdessen öffentlich um Olga Segler getrauert. Die Beisetzung findet auf dem Städtischen Friedhof in Berlin-Reinickendorf statt. Am Ort des Unglücks wird ihr im November 1961 ein Mahnmal gewidmet. Gestaltet aus Holz und Stacheldraht hat dieses Erinnerungsmal die gleiche Form wie die Gedenkzeichen für Ida Siekmann und Rudolf Urban, die ebenfalls in der Bernauer Straße wohnten und dort bei Fluchtversuchen ums Leben gekommen sind. An Gedenktagen wird es in den folgenden Jahrzehnten stets aufs Neue mit Kränzen und Blumen geschmückt.
Das Haus, in dem Olga Segler gewohnt hat, wird 1966 bis auf die Erdgeschossfassade abgerissen. Bis 1980 bildet der gespenstisch anmutende Fassadenrest die Grenzmauer. Dann müssen auch die letzten Spuren der ursprünglichen Wohnsituation einer Betonmauer weichen.
[Quelle: berliner-mauer-gedenkstaette.de]
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November 1974:
Berliner Mauer in der Bernauer Str. zwischen Wedding/West-Berlin) und Mitte/Ost-Berlin, hier wurden die Ost-Berliner Häuserfassaden, die genau dem Grenzverlauf entsprachen, stehen gelassen, dahinter stand die Mauer


Februar 1975:
Bernauer Str. Ecke Swinemünder Str. (Mauer zwischen Wedding/West-Berlin und Prenzlauer Berg/Ost-Berlin
November 1974:
Harzer Str., Grenze zwischen Neukölln/West-Berlin und Treptow/Ost-Berlin
November 1974:
Lohmühlenplatz, Mauer zwischen Neukölln/West-Berlin und Treptow/Ost-Berlin,
die Balkone in Treptow lagen voll im Todesstreifen (v.r. Elektrozaun, Panzersperren, Wachturm, Mauer und an einigen Stellen in der Stadt auch noch Laufleinen für scharfe Wachhunde)

Der ganze Spuk fand dann am 9. November 1989 ein Ende
Hier noch ein paar Momentaufnahmen von der Berliner Mauer, alle Bilder entstanden am 10. November 1989


Damit diese Mauer schnellstens verschwindet haben natürlich auch wir (Söhne und ich) uns als Mauerspechte tatkräftig eingebracht:.
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Das war’s mit der Berliner Mauer. Obwohl es nichts mit dem „Meer“ zu tun hat, sei es mir anlässlich dieses bedeutenden Tages „30 Jahre Mauerfall“ doch gestattet diese 3 Teile auf meinen Block „Meerblick“ zu posten.
Ich freue mich sehr über euer reges Interesse, eure vielen Likes und tollen Kommentare zu den bisherigen Beiträgen 1 und 2 und möchte mich vorab schon mal für eure (hoffentlich) zahlreichen Reaktionen auf diesen abschließenden 3. Teil bedanken!
Eine tolle Dokumentation. So hautnahe Bilder. Danke dafür. Eine schöne Würdigung zu diesem Zeitpunkt.
Unglaubliche Geschichte der alten Dame! Und so tragisch, dass sie einen Tag darauf verstarb. Natürlich ist jedes Opfer, das nur einfach in Freiheit leben wollte zu viel…
Ganz tolles Kino auch Deine Bilder!!!
Hast Du das Stück Mauer noch?
Klar, noch eine Kiste voll, haben doch fast die halbe Mauer alleine abgebrochen (na ja, vielleicht nicht ganz so viel).
Danke Simone für deinen netten Kommentar.
wieder ganz tolle fotos, danke fürs zeigen! ein gutes wochenende für dich! liebe grüße aus berlin 🙂
Danke und schöne Grüße in meine alte Heimat zurück.
wow, gruselig und kaum mehr vorstellbar heute. Danke für die hautnahe Erinnerung!
Ja, wohl wahr. Vielen Dank.
Was für ein Irrsinn, Menschen einzusperren und ihnen den freien Willen zu verbieten. Das KANN einfach nicht funktionieren. Sehr toller Bericht, der mich sehr berührt.
Wahr damals eine wirklich unglaubliche Zeit, was man in West-Berlin vorm Mauerfall so alles erlebt hat und dann natürlich der Fall der Mauer, sehr berührend, werde ich niemals vergessen. Danke Petra!
Danke für dieses berührende Stück Geschichte mit Fotos und interessantem Text! Es wäre ein Verlust, wenn diese drei Teile zum Mauerfall nicht hier veröffentlicht worden wären. Du warst also auch vor Ort…
Vielen Dank Marion. Ja, ich war dabei, habe von 1973 bis 2017 in Berlin gelebt, unfassbare Erlebnisse damals.
Das glaube ich! Mein Vater ist in Chemnitz geboren und ging als sehr junger Mann mit seinen Brüdern in den Westen. Ich erinnere mich, dass er mich anrief, um die Neuigkeit vom Mauerfall zu verkünden. Für ihn natürlich ein ganz besonderer Moment.
Ich habe eine Zeitlang während meines Studiums in der Brunnenstraße gewohnt. Du hast mich an eine schöne, aber andererseits oft auch beklemmende Zeit meines Lebens erinnert.
Einen lieben Gruß von der Silberdistel
Wann war das denn? Waren wir wohl gleichzeitig in Berlin, oder?
Danke für deinen Kommentar.
Das war 69/70. Später habe ich auch recht dicht an der Mauer gewohnt, in der Habersaathstraße. Das war mitunter schon recht gespenstisch.
Toll geschrieben, eindrucksvolle Aufnahmen….alle drei Teile sind klasse!! vielen Dank und liebe Grüße Corinna
Freut mich sehr, Corinna
Großartig! Ganz herzlichen Dank für diese eindrucksvolle und informative Reihe!
Ganz lieben Dank, Maren
Hallo Helmut,
während mich regelmäßig Dein Meerblick erfreut, zeigst Du nun ganz andere Schätze aus dem Foto-Archiv, schwarz-weiß aus der Zeit des „Kalten Krieges“ und bunt aus den Tagen der Mauer-Öffnung wie der Entwicklung des Zentrums in Berlin.
Du zitierst tragische, buchstäbliche Fälle aus der Gedenkstätte Berliner Mauer, die mich vor einiger Zeit bei einer Führung beeindruckte.
Die vor-adventliche Jahreszeit war bei uns zuhause über viele Jahre geprägt vom Pakete-Packen an die Verwandten in Sachsen und Thüringen, „Geschenksendung, keine Handelsware“. Wir durften Pakete auspacken mit Dresdner Stollen und Erzgebirgischen Figuren.
Die Bürgerbewegung und die Wende fiel in die Zeit meines Studienabschlusses, und täglich gab es kaum glaubliche Nachrichten in Presse, Funk und Fernsehen. In Ungarn war der eiserne Vorhang aufgehoben, aus Prag kamen die Botschafts-Leute, in Leipzig und andernorts wurde demonstriert, die große Kundgebung auf dem Alexanderplatz, der Fall der Mauer. Tags darauf die Versammlung mit Brandts „Es wächst zusammen,was zusammen gehört“. Dann die Runden Tische und frei gewählte Volkskammer, vielfältige Verhandlungen, die Verträge zur deutschen Einheit sowie Zwei plus Vier. In dieser Zeit die Erfahrung, die Welt öffnet und verändert sich, ja, versöhnt sich, womöglich in einer besseren Zukunft.
Nicht nur an Gedenktagen wie dem heutigen erinnere ich mich daran, dass die Teilung Deutschlands, die Zweistaatigkeit, Grenzziehung und Mauerbau eine Folge waren aus den Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschheit des Nationalsozialismus. Die Erinnerung daran und Verantwortung daraus leben wir gerade auch hier in Nürnberg.
Herzlichen Dank für die ausgewählten Erinnerungsbilder
und schöne Grüße ans Meer.
Bernd
Vielen Dank Bernd für deinen so umfangreichen Kommentar. War schon wirklich eine geschichtsträchtige Zeit.
Schönen Gruß nach Nürnberg.
Mensch, Helmut, das sind aber tolle Reportage-Fotos. So lebendig.
Lieben Dank Stefanie, freut mich sehr.
Toller Beitrag mit spektakulären Bilder. Dankeschön!
Lieber Helmut,
ja, ja die Mauerspechte. Irgenwo muss ich noch ein Stück Beliner Mauer bei mir rumliegen haben.
Und vielen Dank für Folge 3 der historischen Mauerbilder.
LG Bernhard
Beim Lesen deines Artikels und Betrachten der s/w-Fotos, hatte ich eine Gänsehaut. Es muss schlimm für die Menschen gewesen sein.
LG, Conny
Wohl war. Lieben Dank, Conny
Sehr bedrückende Bilder der damaligen Zeit und eine traurige Geschichte … kaum vorstellbar, dass dies alles noch gar nicht so lange her ist (oder ein Zeichen dafür, dass wir auch nicht mehr ganz jung sind) .
LG, Netty
Ich glaube auch, es liegt am Alter, da verfliegt die Zeit sooo schnell! Als ich nach Berlin gezogen bin, stand die Mauer erst 12 Jahre, dass war damals gefühlt ja ewig lange her. Das sie jetzt schon 30 Jahre weg ist, der Mauerfall war doch gerade erst.